Ein Herz für Holz

Die Zimmerei Huckenbeck restauriert im Münsterland alte Fachwerkhäuser.

Es ist früh am Morgen, als Franz-Josef Huckenbeck in traditioneller schwarzer Kluft und mit einem Werkzeugkoffer in der Hand den historischen Speicher betritt. In dem Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert duftet es nach altem Holz, eine feine Schicht aus Spä­nen und Sägemehl bedeckt den Boden. Dumpfes Klopfen hallt durch die leeren Räume, eine Kreissäge kreischt. Zwei Gesellen des Zimmerermeisters bear­beiten mit Stoßaxt und Deichsel ein armlanges Stück Eiche und machen es passend für einen der Balken, der den Attacken der Zeit nicht standgehalten hat. Huckenbeck zeigt auf das freigelegte Holzgerippe, das von Baumeistern vor mehreren 100 Jahren im Steckverfahren verzapft wurde. „Die Statik hat über die Zeit etwas gelitten“, sagt er, „aber es steht immer noch. Das ist große Baukunst.“ Huckenbeck, Restaurator im Zim­merhandwerk aus Greven im Münster­land, hat ein großes Herz für alte Fach­werkbauten. Der Speicher in Münster­-Sprakel ist eines seiner jüngsten Projekte. „Jedes Gebäude ist anders, jedes hat seine Geschichte. Unsere Aufgabe ist es, diese Geschichte zu studieren und es dann möglichst originalgetreu zu restaurieren“, erklärt der 55-Jährige. Eine Fachwerkrestauration ist auf­wendig und kann in der Vorbereitung bis zu fünf Jahre dauern. Auch an dem Speicher arbeitet Huckenbeck seit mehr als zwölf Monaten. Zuerst hat er das Haus untersucht, die Schäden kartiert und das Vorgehen festgelegt. Um den Zustand des Gebäudes genau beurteilen zu können, muss er das Holz­konstrukt im Inneren entmauern, also freigelegen. Dann erst kann der Zim­merer entscheiden, wo die alten Balken nur gesäubert werden und wo er um das Ersetzen nicht herumkommt. Das Material dafür muss bestimmte Bedingungen erfüllen. „Das Holz darf nicht mehr als 20 Prozent Feuchtigkeit haben“, erklärt Huckenbeck. Natürlich getrocknetes Eichenholz, wie man es für Fachwerk im Münsterland vornehmlich benutzt, ist begehrt, aber rar. Daher hat er sich vor seiner Werkstatt einen Unterstand errichtet, um sein eigenes Material zu trocknen. Manche Hölzer liegen dort schon seit Jahrzehn­ten, und oft sei es schwer für ihn, sich davon zu trennen. „Es hört sich ko­misch an, aber auch in ein altes Stück Holz kann man sich verlieben“, schwärmt Huckenbeck.

In Fachwerkhäusern muss die Feuchtigkeit wandern können
Der Meister geht nach draußen, um die Fassade zu inspizieren. Hühner laufen um ihn herum, eine Schafherde grast hinter einer Einzäunung, Wald und Ge­treidefelder, ländliches Idyll. Der Bau ist Teil eines ehemaligen Hofs. Die Ge­bäude ringsum sind bereits bewohnt, und bald soll auch der alte Speicher eine Unterkunft sein. Huckenbeck nimmt einen Balken in Augenschein. Das Mauer­werk darüber wurde mit Gurten angehoben, das Holz behutsam entfernt, ge­säubert und wieder eingesetzt. Wenn alles fertig ist, verfüllen die Zimmerer die Außenwände nach historischem Vorbild mit einem Lehm-Stroh-Gemisch und überziehen sie mit einer Kalk­scbicbt. Weil es kein dichtes Fachwerk gibt, muss die Feuchtigkeit wandern können, weiß der Experte, von drinnen nach draußen und umgekehrt. Dafür gebe es nichts Besseres als Kalk, mit dem auch die Backsteine in den Nischen der Holzbalken vermörtelt werden. Es ist vor allem das Wissen um die alte Baukunst, das für Huckenbecks Arbeit unentbehrlich ist. „Mein Know­how habe ich mir über viele Jahre angeeignet - mit Fachliteratur und am Objekt“, sagt der zweifache Familienvater. „Man muss mit offenen Augen durch die Gegend gehen und von der unglaublichen Leistung lernen, die die Menschen früher mit einfachsten Mit­teln vollbracht haben.“ Die Leidenschaft für das Fachwerk hat Huckenbeck vom Vater geerbt, der das Unternehmen 1956 gegründet hat. „Ich brannte schon früh darauf, meine eigenen Ideen umzusetzen“, erinnert er sich. „Daher hat es etwas gedauert, bis wir eine gemeinsame Wellenlänge gefunden hatten.“ Vater Franz starb früh im Alter von nur 51 Jahren, zwei Wochen vor der Meisterprüfung des Sohns. Plötzlich stand der Sprössling in der Verantwortung, gerade einmal 23 Jahre alt.
Schnell entwickelte er den Betrieb weiter. Mit Erfolg. Während die Bau­branche in den 1980er-Jahren unter einer Krise ächzte, konnte Huckenbeck sogar expandieren. Auf dem Familiensitz in Greven, gleich neben der Pfer­dekoppel, auf der ein stattliches Schwarzwälder Kaltblut galoppiert, errichtete er eine große Werkstatt. Heute ist Huckenbeck nicht nur Zim­merer und Restaurator, sondern auch Sachverständiger. Seine Expertise im Bereich Fachwerk ist bundesweit ge­fragt. Viele historische Bauten wie etwa den Ernst-August-Salon in Burg Bentheim, die Wasserburg in Anholt oder die Orangerie in Münster hat er mit Fachwissen und handwerklichem Geschick gerettet.

Zu viel Spannung kann das Holz zum Knallen bringen
Holz zum Knallen bringen
Bis der Speicher in Münster-Sprakel fertig ist, haben Huckenbeck und seine Handwerker vor allem im Inneren noch alle Hände voll zu tun. Die historischen Ständer und Riegel, also die senkrechten und waagerechten Balken, die mittels Zapfen miteinander verbunden sind, müssen mit einer Spezial­bürste behutsam gereinigt werden. Um die einzelnen Balken zu entlasten, kurbeln sie den Ständer mit einer Art Wagenheber nach oben. Gerade dabei kann viel schiefgehen: Manche Balken haben sich über die Jahrhunderte gekrümmt und verbogen. Zu viel Spannung kann das Holz zum „Knallen" bringen und es unbrauchbar machen. An manchen Stellen ist der Schaden beträchtlich. „Offenbar wurden hier früher Tiere gehalten“, erklärt Hucken­beck. Nitrat und Ammoniak aus deren Ausscheidungen haben die Eiche im unteren Bereich stark angegriffen, der Balken hat an Querschnitt verloren.
„Auch solche Spuren aus der Vergangenheit versuchen wir normalerweise zu erhalten, doch das funktioniert nicht immer. Dann müssen wir die Teile sehr behutsam ersetzen.“ Neben Pilz- und Schimmelbefall ist es vor allem der winzige Holzwurm, der großen Schaden anrichtet. Zudem hat sich der gescheckte Nagekäfer an einigen Balken zu schaffen gemacht. Mit einem Multimaster, einer winzigen Elektrosäge, die ihren Ursprung in der Chirurgie hat, schneiden die Zimmerer die betroffenen Teile behutsam heraus und ersetzen sie durch Holz mit der gleichen Eigenschaft. Die Hohlräume dazwischen füllen sie mit Casein. Diese historische Technik hat Huckenbeck aus dem Süden importiert. Das pro­teinreiche Quarkgemisch wurde schon von den „Vorvorderen“, wie Hucken­beck liebevoll die Vorfahren nennt, als Klebemasse benutzt. Auch Sohn Joan unterstützt ihn auf der Baustelle. Eines Tages wird der 23-Jährige, inzwischen selbst Zimme­rermeister und Restaurator, den elterli­chen Betrieb übernehmen. Wie den Vater faszinieren auch ihn die Geschichten der Häuser, die er mit seinen Händen Stück für Stück freilegt. Kürzlich hat er bei einer Sanierung ein altes Bajonett gefunden und eine Schachtel englische Zigaretten aus dem weiten Weltkrieg. „Es macht einen stolz, solche Dinge dem Bauherren zu überreichen, weil durch sie Geschichte irgendwie lebendig wird“, sagt er. Leider sei dieses Denken nicht bei allen Leuten angekommen, entgegnet Vater Franz-Josef. Alte Häuser hätten keine Lobby und ihre Besitzer oft Angst vor den Kosten. Ein fatales Denken sei das, meint Huckenbeck. „Die Leute sollten begreifen, dass das kein altes Gelump ist, was sie da haben. Häuser sind Zeitzeugen.“

Quelle: Land & Leute (Text: Christian Parth, Fotos: Dennis Williamson)

 

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